Couchzeiten

Das Jahr 2020 ist beendet. Endlich! Ein Jahr, das so vielversprechend nach einer Wiederholung der goldenen Zwanziger des vorigen Jahrhunderts geklungen hatte und sich dann binnen weniger Wochen als Beginn einer bis dahin kaum vorstellbaren Zeitenwende entpuppte.

Erinnern wir uns, wie sich mit Beginn der Krise und dem ersten Shutdown ab Mitte März die bisherigen Arbeitsrealitäten verkehrten. Die bis dahin postulierte Präsenzpflicht löste sich aufgrund der pandemischen Zwänge binnen Tagen auf und Führungskräfte wie Mitarbeiter:innen wurden ungewollte Probanden im bisher größten kollektiven Experiment zum Thema New Work. Homeoffice und Führen im Remote-Modus wurden zum – zunächst unfreiwilligen –  neuen Megatrend. Küchentisch und Couch waren plötzlich und über Nacht der neue Arbeitsplatz hunderttausender Wissensarbeiter:innen, die sich bis dato zum Arbeiten täglich ins Büro bewegt hatten. Die Grenzen von Arbeit und Privatem verschwammen in diesen Wochen und es wurde der überraschende Beweis geliefert, dass diese Art des Arbeitens bei der Breite der Betroffenen zu mehr Produktivität und Zufriedenheit führte (Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, 2020; forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, 2020; bidt Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, 2020).

Die Grenzen von Arbeit und Privatem verschwammen und es wurde der überraschende Beweis geliefert, dass diese Art des Arbeitens bei der Breite der Betroffenen zu mehr Produktivität und Zufriedenheit führte.

Die Corona-Krise hatte uns binnen weniger Tage zu einer Transformation der Arbeit gezwungen, die wir bis dahin nicht für möglich gehalten hatten. Erstmals fingen wir an, die Möglichkeiten, die wir durch die Digitalisierung seit langem hatten, ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Fasziniert erlebten wir Arbeiten in den eigenen vier Wänden als wohltuende Alternative und tauchten ein in ein ganz neues Erfahrungsspektrum von Konzentration und Kontemplation. Die Lernkurve in diesen Wochen war hoch wie selten und das Gefühl, in dieser Ausnahmesituation trotz anfänglicher Schwierigkeiten den Laden am Laufen gehalten zu haben, erfüllte uns mit Stolz.

Bereits im Sommer, als sich die pandemische Situation vorübergehend beruhigte, wurde in vielen großen Konzernen offenkundig, dass diese positiven Erfahrungen neue Ansprüche an gute Arbeit hervorgebracht haben und Forderungen nach mehr und dauerhafter Umstellung auf hybriden Arbeitsstrukturen nach sich ziehen werden (Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, 2020; forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, 2020; bidt Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, 2020)

Doch dieses neue Bewusstsein im Geiste von New Work scheint aktuell zu konkurrieren mit alten Gewohnheiten, die geprägt sind von den Erfahrungen aus einer noch prädigitalen Zeit.

Kürzlich veröffentlichte die Bundesregierung unter #besonderehelden einen Werbespot, der die Bundesbürger:innen dazu aufruft, in diesen Tagen und Wochen erneut zu Hause zu bleiben. Ein älterer Herr berichtet aus der Zukunft rückblickend vom Winter 2020 und seinem damaligen Beitrag, die zweite Welle zu brechen. Er erzählt: „Also fassten wir all unseren Mut zusammen und taten, was von uns erwartet wurde. Das einzig Richtige. Wir taten (- lange Pause -) N I C H T S! Absolut gar nichts! Waren faul wie die Waschbären.“ (Quelle: Bundesregierung, 2020)

 

An dieser Stelle gibt es einen Kameraschnitt und man sieht den alten Herrn als lethargisch dreinblickenden Anfangzwanziger, der Chips essend und Limonade trinkend in immer verdrehteren Liegepositionen auf der Couch vor dem Fernseher lümmelt. Die Erklärung dazu stellt dies als Heldentat dar: „Tage und Nächte blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Unsere Couch war die Front und unsere Geduld war unsere Waffe. Wissen Sie, manchmal muss ich fast ein bisschen schmunzeln, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Das war unser Schicksal. So wurden wir zu Helden, damals in diesem Corona-Winter 2020.“ Soweit das Video (Quelle: Bundesregierung, 2020).

Doch dieses neue Bewusstsein im Geiste von New Work scheint aktuell zu konkurrieren mit alten Gewohnheiten, die geprägt sind von den Erfahrungen aus einer noch prädigitalen Zeit.

Fast könnte man meinen, dieses Video beschreibe unsere Handlungsoptionen als ob uns die Pandemie vor 25 Jahre – im Jahr 1995 – heimgesucht hätte, als E-Mails noch als Neuerung galten und die Digitalisierung in ihrer heutigen Form ein Szenario aus einer fernen Fiktion darstellte.

Entsprechend lauten die im Video vermittelten Botschaften:

  • Bleib zu Hause und tue – gezwungener Maßen – nichts. 
  • Keine Digitalisierung, keine Vernetzung, Zwangspause.
  • Warte ab und lasse den Sturm vorbeiziehen. Wenn er vorüber ist, tritt wieder auf die Straße und knüpfe das Leben da an, wo es zuvor gestoppt hatte. Wirklich?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits im April in einer eindringlichen Fernsehansprache die Bürger:innen auf das vorbereitet, was kommt: „Die Welt danach wird eine andere sein. Wie sie wird? Das liegt an uns! Lernen wir doch aus den Erfahrungen, den guten wie den schlechten, die wir alle, jeden Tag, in dieser Krise machen.“

Der Bundespräsident wusste, was jede:r weiß, wer schon einmal die Wucht eines Wirbelsturms erlebt hat. Es reicht nicht, sich einfach nur zu verkriechen und abzuwarten, sondern es bedarf im Anschluss eines mühevollen Wiederaufbauens und Aufräumens, ehe man das Leben fortsetzen kann. Vielleicht braucht man ein neues Haus und eine neue Straße. Das birgt die große Chance, aus Erfahrungen zu lernen: Nicht einfach das alte Haus wiederaufbauen, sondern Erfahrungen nutzen, um ein neues, besseres Haus zu erfinden.

Krise bietet die Chance zu Quantensprüngen. Dafür braucht es Kreativität, Reorganisation, Innovation, Selbstorganisation und Entwicklung. Krise kann also zum Schmelztiegel werden, in dem zukunftsgerichtete Kompetenzen sich zu umfassenden Erneuerung verbinden. Warum also faul auf der Couch liegen? Warum nicht jetzt die Zeit nutzen zur Erfindung der Zukunft?

K - reativität

R - eorganisation

I - nnovation

S - elbstorganisation

E - ntwicklung

Warum also faul auf der Couch liegen? Warum nicht jetzt die Zeit nutzen zur Erfindung der Zukunft?

Wie könnten wir also K R I S E nach der obigen Interpretation leben? Was müssten wir jetzt konkret tun? Greifen wir hierzu einmal die Idee des Videos der Bundesregierung auf und betrachten wir unser jetziges Handeln aus der Zukunft. Wäre es nicht schön, wenn wir in einigen Jahrzehnten rückblickend sagen könnten: „Also fassten wir all unseren Mut zusammen und wagten, alles in Frage zu stellen was bisher war: Unsere Art des Arbeitens und des Produzierens, unseres Miteinanders und unserer Gesellschaft.

„Also fassten wir all unseren Mut zusammen und wagten, alles in Frage zu stellen was bisher war […] So wurden wir zu Gestalter:innen der Zukunft, damals im Corona-Winter 2020.“

Wir entdeckten, was uns wirklich wichtig war und fingen an, die Welt umzubauen. Sicher, es gab auch die Leute, die lieber auf der Couch lagen und hofften, dass die alten Zeiten bald wieder einkehren mögen, aber das waren nicht die, die im Anschluss zu den Erfolgreichen zählten. Erfolgreich wurden die, welche die besondere Situation nutzen, um gewohnte Bahnen zu verlassen, Neues auszuprobieren, neue Erfahrungen zu machen und diese mit anderen zu teilen.“ An dieser Stelle gäbe es einen Kameraschnitt und man würde in schneller Bildfolge viele hochagile Menschen unterschiedlicher Altersklassen sehen, die sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung vernetzen und kollaborieren und ihre Fähigkeiten selbstbewusst und kraftvoll verbinden. Die Erklärung dazu könnte lauten: „Wir erlebten diese wundersame Kraft, wenn Denkblockaden fallen und Dinge sich neu ordnen, neue Wege sich auftun und Gedanken sich zu ganz neuen Ideenschöpfungen verschmelzen. Und dann erfanden wir, wie gute Arbeit gelingen kann, wie Menschen Glück und Zufriedenheit finden können, in dem was und wie sie es tun. So wurden wir zu Gestalter:innen der Zukunft, damals im Corona-Winter 2020.”

Lassen wir unsere Couch also zum Tatort für große geistige Würfe und innovatives Treiben werden. Unsere Couch als Werkbank zur Entwicklung und Ausformung von New Work. Gerne hören wir Ihre Couchgeschichten 2020/21!

Wir wünschen Ihnen und allen Unternehmen der Region Lüneburg alles Gute für 2021!

Zum Weiterdenken: Mein Brückenbau in die Zukunft der Arbeit

Was habe ich in den letzten Monaten gelernt, was ich nicht gelernt hätte, hätte es die K R I S E nicht gegeben?

Was habe ich in den letzten Monaten getan / nicht getan, das dazu geführt hat, dass ich heute im Corona-Winter 2020/21  da stehe, wo ich stehe?

Wie möchte ich über mein Handeln im Jahr 2021 rückblickend aus  der fernen Zukunft berichten können? Wie werde ich 2021 gedacht und gehandelt haben, dass ich später zu den Erfolgreichen gehörte?

Quellen

bidt Bayerisches Forschungsinstitut für Digtitale Transformation (September 2020). Digitalisierung durch Corona? Verbreitung und Akzeptanz von Homeoffice in Deutschland: Ergebnisse zweier bidt-Kurzbefragungen. Abgerufen 28.12.2020, von https://www.bidt.digital/wp-content/uploads/2020/09/bidt_Studie-Homeoffice-II.pdf

Bundesregierung (November 2020). Zusammen gegen Corona #besonderehelden. Abgerufen 12.01.2021, von https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besonderehelden-1-1811518

forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (30. November 2020). Erfahrungen mit Homeoffice. Ergebnisse einer Befragung unter abhängig Beschäftigten in Bayern. Abgerufen 28.12.2020, von https://www.dak.de/dak/landesthemen/studie-homeoffice-2401564.html#/

Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT (Presseinformation 7. Juli 2020). Fraunhofer Umfrage „Homeoffice“: Ist digitales Arbeiten unsere Zukunft? Abgerufen 28.12.2020, von https://www.fit.fraunhofer.de/de/presse/20-07-07_fraunhofer-umfrage-homeoffice-ist-digitales-arbeiten-unsere-zukunft.html

Bildquellen: Alle Illustrationen aus diesem Blog stammen von Lena Bittrich und Carolin Meyer