Glücksbooster

Lesedauer: ca. 6 Minuten

„Und jetzt auch noch Omikron!“, mag der eine oder die andere in den letzten Tagen erschöpft gedacht haben. „Hört das denn nie mehr auf? Geht das denn immer so weiter? Wann ist endlich, endlich Schluss mit Corona?“ Am Ende des zweiten Pandemiejahrs scheinen die emotionalen Reserven aufgebraucht. Die Pandemiebewältigung hat uns über viele Monate mehr an persönlichem Krafteinsatz abverlangt, als dauerhaft durchhaltbar ist. Das hat Spuren hinterlassen. Wir fühlen uns dünnhäutig, müde und kaputt. Neben einer dringend angeratenen raschen Boosterimpfung brauchen wir jetzt offenbar vor allem eins: Einen Glücksbooster.

In diesem Beitrag wollen wir herausfinden, wie es uns jetzt kurzfristig gelingen kann, neue Energie zu tanken und unsere persönlichen Kraftreserven wieder aufzufüllen. Wir werfen einen Blick auf das, was uns die Glücksforschung hierzu sagt und welche Wirkstoffzusammensetzung sie uns für einen persönlichen Glücksbooster empfiehlt. Und natürlich fragen wir auch in diesem Monat wieder, was wir aus all dem für zukünftige Transformationsprozesse ableiten können.

Professorin Barbara Fredrickson, eine führende Größe im Bereich positiver Psychologie und Resilienzforschung, beschreibt, dass schwierige Zeiten – wie die Pandemie – fast unweigerlich zu einer negativen Grundhaltung führen und eine emotionale Abwärtsspirale in Gang setzen. Allerdings – und das ist die gute Nachricht – können wir dieser Entwicklung aktiv entgegenwirken, indem wir dafür sorgen, dass wir möglichst viele positive Emotionen erleben und damit die Abwärtsspirale bremsen. Positive Emotionen erweisen sich als der entscheidende Wirkstoff, der es uns ermöglicht, uns zu stabilisieren und uns zu erholen. Fredrickson betont, dass Resilienz – die Fähigkeit in schwierigen Situationen nicht in die Abwärtsspirale zu geraten – eine von uns aktiv beeinflussbare Größe ist. Sie bezeichnet Resilienz als „eine innere Ressource, die mit der Zeit wächst und gedeiht.“ (Fredrickson, 2011, S. 139) Alle positiven Gefühle, die wir erleben, wirken dabei als Booster unserer Resilienz. Deswegen ist es laut Fredrickson insbesondere in schweren Zeiten ungeheuer wichtig, für ein positives Befinden zu sorgen, um unsere Resilienz zu stärken. (Fredrickson, 2011)

Alle positiven Gefühle, die wir erleben, wirken als Booster unserer Resilienz.

Jetzt mag der eine oder die andere erwidern: Aber was gibt es aktuell schon Positives zu berichten? In den Nachrichten wird auch nur noch von Krisen gesprochen. Positive Emotionen kann ich doch nicht einfach so erzeugen. Folgende zwei Techniken sollen das Gegenteil beweisen. Schauen wir uns diese einmal genauer an:

Positive Emotionen erweisen sich als der entscheidende Wirkstoff, der es uns ermöglicht, uns zu stabilisieren und uns zu erholen.

Die erste Technik liefert der dänische Glücksforscher Meik Wiking vom Happiness Research Institut in Kopenhagen, der sich intensiv mit dem dänischen Phänomen Hygge auseinandergesetzt hat. Hygge bezeichnet das alltägliche, kleine Glück, die vielen kleinen Annehmlichkeiten und Freuden, die wir jeden Tag erleben können, wenn wir es uns bewusst schön machen. Der Schlüssel liegt darin, sich jeden Tag neu proaktiv dieses kleine Glück zu verschaffen und sich Zeit und Raum zu nehmen, die dadurch erzeugten, positiven Emotionen ganz bewusst zu genießen. Hygge ist damit ein erster wichtiger Wirkstoff unseres Glücksboosters.

Wie aber soll das mit Hygge genau funktionieren? Im „Hygge-Manifest“ (Wiking, 2016, S. 46) werden unterschiedliche Punkte genannt, die uns Freude und Wohlbefinden im Alltag verschaffen können. Wir waren so frei und haben hier eine gekürzte Version des Hygge-Manifests für den Winter 2021/22 zusammengestellt:

Hygge bezeichnet das alltägliche, kleine Glück, die vielen kleinen Annehmlichkeiten und Freuden, die wir jeden Tag erleben können, wenn wir es uns bewusst schön machen.

  • Kerzenschein und heimelige Beleuchtung: Jederzeit die richtige Atmosphäre schaffen, auch am Schreibtisch.
  • Sich Genuss gönnen: Kaffee, richtig gute Schokolade und selbstgebackene Lieblingskekse, am besten einen ganzen Teller voll.
  • Präsent sein im Hier und Jetzt: Das Handy ausmachen, aus dem Zimmer schaffen und am besten vergessen.
  • Entspannen: (Einfach) nichts tun! Es sich bequem machen. Einkuscheln. Faulenzen. Dicke Socken. Wolldecke. Wohlfühlklamotten.
  • Glücksinput: Ein guter Roman. Ein Fotoalbum. Ein Gute-Laune-Film.
  • Gut über sich denken: Wir alle waren in diesem Jahr großartig! Wirklich. Richtig großartig. Meister:innen der Krise. Gestalter:Innen der Zukunft!

Hygge als ein Bestandteil unseres Glücksboosters.

Kekse essen und Wolldecke sollen helfen? So einfach? Ja. So einfach, vorausgesetzt man zelebriert Hygge täglich und übt sich darin. Resilienz baut sich auf, wenn wir uns positive Emotionen möglichst häufig verschaffen. Daher darf und sollte Hygge neuer Bestandteil unseres Alltags werden.

Neben Hygge gibt es einen weiteren Wirkstoff in unserem Glücksbooster: Achtsamkeit. Sie hilft uns dabei die Qualität und Zusammensetzung unseres Glücksboosters zu bestimmen und ist gleichzeitig aber auch Bestandteil unseres Boosters. Eine Technik, um Achtsamkeit in unseren Alltag zu integrieren, ist die Fünf-Finger-Methode. Mit ihrer Hilfe können wir täglich feststellen, ob wir vom Guten über den Tag hinweg wirklich genug bekommen haben und ob die Zusammensetzung insgesamt stimmt. Stellen wir dazu folgende Fragen:

Resilienz baut sich auf, wenn wir uns positive Emotionen möglichst häufig verschaffen und durch Achtsamkeit verstärken.

  • D wie Daumen oder Denkanstöße: Welche neuen Ideen oder Erkenntnisse hatte ich heute?
  • Z wie Zeigefinger oder Ziele: Wie bin ich heute meinen persönlichen oder beruflichen Zielen nähergekommen?
  • M wie Mittelfinger oder Mentalität: Wie war ich heute drauf? Welcher emotionale Zustand prägte dieser Tag?
  • R wie Ringfinger oder Ratgeber: Wem habe ich heute geholfen, ein gutes Wort geschenkt oder Unterstützung gegeben?
  • K wie kleiner Finger oder Körper: Was habe ich heute meinem Körper Gutes getan?

Achtsamkeit als zweiter Bestandteil unseres Glücksboosters.

Mit diesen einfachen Fragen richten wir den Blick ganz bewusst auf das, was gut läuft und woraus wir Kraft schöpfen können und entdecken unmittelbar aber auch die Lücken, die wir schleunigst schließen sollten. Damit haben wir ein sehr wirkungsvolles Selbstcoaching-Instrument buchstäblich in der Hand. Wer sich mithilfe der Fünf-Finger-Methode Gutes bewusst macht, verstärkt damit das damit verbundene positive Gefühl und wird am nächsten Tag dafür sorgen, dass dieses Gefühl erneut erzeugt wird. Wer entdeckt, dass es heute an etwas gefehlt hat, ist motiviert, die Lücke für morgen zu schließen. Damit können wir relativ schnell eine Aufwärtsspirale initiieren und unsere Resilienz stärken. Die Wirkung zeigt sich bereits nach wenigen Tagen, sofern wir dies konsequent tun.*

Und was können wir aus diesen Überlegungen für Transformationsprozesse im Allgemeinen ableiten?

Transformationsprozesse fordern – ebenso wie Krisen – einen hohen persönlichen Krafteinsatz und zehren emotionale Reserven auf. Jeder Veränderungsprozess birgt damit das Risiko, dass Menschen in eine Abwärtsspirale geraten können. Daher ist das Emotionsmanagement in Transformationsprozessen eine entscheidende Schlüsselkompetenz. Bis eine Transformation wirklich vollzogen ist und damit dann Neues und Gutes hervorbringt – was dann zukünftig vielleicht als neue Kraftquelle dienen kann – kostet der Transformationsprozess an sich zunächst einmal über lange Zeit Kraft und macht einen emotionalen Vorschusskredit notwendig. Um diesen Kredit zu bedienen, muss das Prinzip der positiven Psychologie fester Bestandteil eines jeden Transformationsvorhabens sein.

Emotions-
management ist eine entscheidende Schlüssel-
kompetenz in Transformations-
prozessen.

Fassen wir zusammen, was wir über die Bedeutsamkeit eines Glücksboosters in der aktuellen Situation und für Transformationsprozesse im Allgemeinen ableiten können:

  • Krisen und Transformationsprozesse bedürfen eines hohen Krafteinsatzes. Sind die Kräfte aufgebraucht, kann es zu einer emotionalen Abwärtsspirale kommen. Resilienz kann dies verhindern und ist daher die entscheidende Ressource für die Zukunft. Sie wird gestärkt, wenn wir möglichst viele positive Emotionen erleben. Gestalter:innen der Zukunft investieren daher ganz bewusst in ihr Glück und sorgen gut für sich.
  • Hygge und Achtsamkeit schenken uns positive Emotionen und sind wichtige Wirkstoffe in einem Glücksbooster. Beides können wir proaktiv und aus eigener Kraft erzeugen. Der Schlüssel liegt darin, Glück zu einem neuen Alltagsritual zu machen. Gestalter:innen der Zukunft fragen daher täglich: Wie geht es mir heute und was ist mein Glücksbooster für den Tag?
  • Auch beim Glücksboostern sind Impfdurchbrüche im Sinne von emotionalen Einbrüchen möglich. Ein hohes Maß an Resilienz mildert aber die Schwere der Erschütterung stark ab, bewahrt uns vor einer Abwärtsspirale und hilft uns schnell wieder auf die Beine zu kommen. Gestalter:innen der Zukunft lassen daher keinen Glücksbooster aus und verstärken gerade in schwierigen Zeiten deren Häufigkeit und Stärke.
  • Viele Menschen berichten am Ende dieses Jahres von Erschöpfung. Daraus sollten wir lernen. Wir sollten anerkennen, dass Krisenzeiten allen Beteiligten viel abverlangen. Alte Maßstäbe an Leistung und Perfektion sind daher unangebracht. Wir sollten milde mit uns und anderen umgehen, uns gemeinsam daran erfreuen, was wir unter diesen schwierigen Bedingungen möglich gemacht haben und uns gegenseitig dafür auf die Schulter klopfen. Anerkennung, Lob und Wertschätzung sind starke Glücksbooster, mit denen wir einander Ende 2021 großzügig beschenken sollten. In diesem Sinne: Vielen Dank liebe Gestalter:innen der Zukunft, kommt glücklich und gesund in das neue Jahr 2022!

Zum Weiterdenken: Mein Brückenbau in die Zukunft der Arbeit

Wie geht es mir aktuell – befinde ich mich in einer Aufwärts- oder Abwärtsspirale?

Wann habe ich das letzte Mal etwas für meinen persönlichen Glücksbooster getan?

Wann habe ich das letzte Mal bei meinen Mitmenschen für positive Emotionen gesorgt?

Quellen

Fredrickson, B. (2011). Die Macht der guten Gefühle. Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH

Wiking, M. (2016). Hygge. Ein Lebensgefühl das einfach glücklich macht. Köln: Bastei Lübbe AG.

Bildquellen: Alle Illustrationen aus diesem Blog stammen von Lena Bittrich und Carolin Meyer

 

*Hinweis: Achtsamkeit und Resilienz sind kein Ersatz für eine therapeutische Behandlung bei ernsthaften psychischen Erkrankungen.